Abstraktion und Modellierung

Die Umsetzung wissenschaftlicher Konzepte oder allgemeiner Ideen in eine geeignete Modellstruktur ist ein komplexer und nichtlinearer Prozess. Die Zusammenhänge der Realität sind in der Regel so kompliziert, dass sie nur in verallgemeinerter Form verständlich dargestellt oder analysiert werden können. Im Alltag bilden wir ständig so genannte mentale oder kognitive Modelle, um unsere Wahrnehmung der Welt zu vereinfachen (Rasch 2006). Diese Tatsache ist auch in den Wissenschaften bekannt. Der Physiker Bridgman bemerkte 1927: “Ich glaube, dass das Modell ein nützliches und in der Tat unvermeidliches Denkwerkzeug ist, da es uns erlaubt, über das Unbekannte in Begriffen des Bekannten nachzudenken” (Bridgman 1927), während der Modellierer Rivet 1972 schlicht feststellte: “Die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte des Modellierens” (Rivett 1972).

Die Wahrnehmung und Interpretation der “realen Welt” sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praktischen Umgang mit ihr erfolgt durch Abstraktion und Kommunikation, also durch die Bildung von Modellen. Die Abstraktionsstrategien sind vielfältig und widersprüchlich, da der Kontext und die Ziele des Abstrahierenden einen wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse haben (vgl. auch “Methode Götterblick” Eckmüller 2007). Das bedeutet, dass die gewählte Abstraktion der (räumlichen) Welt zwar wissenschaftlich nachvollziehbar und transparent, aber niemals absolut wahr ist. Die logische Gültigkeit der Abstraktion garantiert auch nicht die Gültigkeit abgeleiteter oder allgemeiner Aussagen. Es kann also nicht bewiesen werden, dass das konstruierte Modell der Realität entspricht oder richtig ist. Bestenfalls kann die Gültigkeit für den definierten Zweck nachgewiesen werden, niemals aber die absolute Wahrheit (Bossel 2004).

Bottom-up versus Top-down

Grundsätzlich lässt sich die Entwicklung von Programmierwerkzeugen zur Modellbildung in Bottom-up- und Top-down-Ansätze unterteilen. Der Bottom-up-Ansatz beinhaltet das schrittweise Erlernen der Modellierungssprache (in diesem Kurs Netlogo) durch die Implementierung konzeptioneller Modellierungsideen (z.B. Rückkopplungsschemata, positiv oder negativ). Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass die grundlegenden Bausteine (Variablen, Schleifen, Wiederholungssyntax) Schritt für Schritt erlernt werden können und so mit zunehmender Fähigkeit komplexere Modelle erstellt und verstanden werden können. Er ist vergleichbar mit dem konventionellen Ansatz, eine Fremdsprache durch systematisches Lernen von Vokabeln und Grammatik zu erlernen.

Der umgekehrte Top-down-Ansatz folgt dagegen eher dem Ansatz “Springe ins kalte Wasser und schwimme” oder, um im oben genannten Beispiel zu bleiben, dem Erlernen einer Fremdsprache durch aktive Interaktion in dieser Sprache.

Beide Ansätze haben bekannte didaktische und pragmatische Vor- und Nachteile. In unserem Fall zeigt die Erfahrung, dass es unverhältnismäßig viel Zeit erfordert, um mit dem Bottom-up-Ansatz auch nur ansatzweise interessante Modelle zu verstehen und weiterzuentwickeln.

Bossel, H., 2004, Systeme - Dynamik - Simulation - Modellbildung, Analyse und Simulation komplexer Systeme, Norderstedt/Germany Books on Demand, Norderstedt Germany
Bridgman, P.W., 1927, The Logic of Modern Physics, New York Macmillan. 
Eckmüllner, O., 2007.Götterblick-oder was?, Östereichische Forstzeitung, 11,16
Rasch, T., 2006. Verstehen abstrakter Sachverhalte: Semantische Gestalten in der Konstruktion mentaler Modelle, Berlin Wissenschaftlicher Verlag 
Rivett, P., 1972, Principles of model building, The construction of models for decision analysis, London Wiley