Geographie - räumliche Interpretation der Welt

Die Annäherung an die Thematik der Geographischen Informationssysteme (GIS) wirkt für Einsteiger im Kontext der vielfältigen Verwendung des Begriffs und vor allem vor dem Hintergrund der vielfältigen und unterschiedlich komplexen Anwendungen unklar. Dies beginnt bereits mit den Begriffen “Geographie” und “geographisch”, die mit der Wahrnehmung der Erde bzw. Erdoberfläche und ihrem Verständnis und ihrer Beschreibung verbunden sind. Dies rückt die professionelle Beschreibung der Erde, also eine abstrahierte kognitive Welterfahrung, in den Fokus einer ersten Beschäftigung mit GIS. Für den Einsatz von Informationssystemen in der Geographie sollten Sie zunächst einige Grundkonzepte zur Wahrnehmung und Abstraktion sowie zur Kommunikation geographischer Welterfahrung kennen und verstanden haben, wozu wir auf die Ihnen bereits aus früheren Semester bekannten Konzepte der Kartographie zurückgreifen.

Kartographie als Bild der Erde

Nach allgemeiner Auffassung ist die Karte ein orientiertes, verkleinertes, verebnetes Grundrissbild eines Teils der Erdoberfläche, das die Gesamtheit der für diesen Teil bedeutungsvollen Erscheinungen oder eine beschränkte Auswahl daraus wiedergibt (Bartelme 2005). Lehmann spricht die Probleme, die dieser Definition zugrunde liegen, folgendermaßen an: “Die Karten geben kein Abbild der Wirklichkeit, sondern nur die Möglichkeit, sich die Wirklichkeit vorzustellen […]. Sie reden eine eigene Sprache, die übersetzt sein will” (Lehmann 1952, S. 73). Integriert man diese Auffassung in eine geographische Definition der Karte, so ist sie:

  • ein Bild der Erde
  • eine Darstellung der als wesentlich aufgefassten Erscheinungen
  • ein Produkt der Kartographie, die je nach Zielsetzung und den als wesentlich identifizierten Erscheinungen adäquate Darstellungsverfahren anwendet

Intention von Karten

Um diesen Zusammenhang an einem Beispiel zu verdeutlichen, betrachten Sie bitte die berühmte “Cosmographie” des Ptolemäus (Abb. 01-01, erstmalig gedruckt um 1410 in Italien, hier die Ulmer “Druckausgabe” von Lienhart 1482).

Abbildung 01-01: Die Weltkarte des Johannes Schnitzler
Abbildung 01-01: Weltkarte des Ptolemäus. Die hier gezeigte Weltkarte ist mit den zwölf Winden illustriert und eine der 32 Karten aus der „Cosmographia“ die von Lienhart Holle aus Ulm am 6. Juli 1482 herausgegeben wurde. Dies war die erste gedruckte Kartenausgabe nördlich der Alpen (Lienhart 1482). (Quelle: Nicolaus_Germanus 2011 , via WikiMedia)

Diese kann als frühes, idealtypisches Beispiel für die zuvor definierten Eigenschaften einer Karte betrachtet werden. Dargestellt ist die zu diesem Zeitpunkt gültige europäische Wahrnehmung der Welt. Wenige Jahre später wurde mit Kolumbus und seinen Entdeckungsfahrten diese Weltsicht revolutioniert und umfassend korrigiert.

Monmonier sagt in diesem Kontext: “that maps, like speeches and paintings, are authored collections of information and also subject to distortions arising from ignorance, greed, ideological blindness, or malice […]” (Monmonier 1991). Hier wird deutlich, wie sehr die Abstraktion von (räumlicher) Wirklichkeit von der Intention des Senders und der verwendeten Kodierung bzw. Rekodierung durch den Empfänger abhängig ist.

Geographische Abstraktion

Wenn wir uns in unserer Alltagswelt umschauen, stellen wir fest, dass – gleich welcher Medienkanal verwendet wird – ein zunehmender Teil unserer Informationen, unserer Kommunikation und unseres Wissens auf digitalen, medial aufbereiteten Daten basiert. Die allgegenwärtigen Schlagworte der Informationsgesellschaft und des Informationszeitalters paraphrasieren diese Wahrnehmung eindrücklich.

Trotz einer durchaus kontroversen und uneinheitlichen Diskussion dieser Begriffe darf angenommen werden, dass der Umgang mit globalen Daten-, Informations- und Wissensnetzen gerade für eine Disziplin wie die der Geographie von elementarer Bedeutung ist. Die ständige Zunahme neuer Sensoren in Raum und Zeit, die hoch aufgelöste und weltweit verfügbare Daten liefern, erzwingt den organisierten und strukturierten Umgang mit selbigen. Gleichzeitig ist durch die Existenz der Daten die Notwendigkeit gegeben diese möglichst zeitnah zu filtern, zu analysieren und zu interpretieren, diese also in Informationen zu wandeln. Vor diesem Hintergrund bekommt der Begriff Information eine neue Dimension. Um zu Informationen zu gelangen, genügt es keinesfalls in Daten zu ertrinken. Wir benötigen Interpretationsvorschriften und Analysewerkzeuge um aus Daten Informationen oder Wissen zu generieren.

Geographische oder räumliche Repräsentationen sind die Grundlage für eine wissenschaftliche Interpretation von raum-zeitlichen Aspekten der Echtwelt. In der Wissenschaft ist es üblich, dass hierfür als gesichert geltende Regeln (Axiome) verwendet werden. So ist vielleicht eines der bekanntesten von Waldo Tobler formuliert worden: “Everything is related to everything else, but near things are more related than distant things” (Tobler 1970). Es wird häufig als das sogenannte “erste geographische Gesetz” zitiert. Wie sehr es andere Auffassungen geben kann zeigt etwa Benno Werlen in seinem handlungszentrierten Ansatz, er führt aus, dass nicht nur reale Nachbarschaftsbeziehungen von Objekten oder Merkmalsausprägungen Raumkonstrukte ermöglichen, sondern Räume eben auch durch z.B. handelnde Menschen, die nicht notwendigerweise in räumlicher Nachbarschaft agieren, sozial konstruiert werden können (vgl. z.B. Werlen 1993).

Abbildung 01-02: Die Interpretation der perzipierten „realen Welt“ sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praxistauglichen Umgang (=Abstraktion) mit dieser Welt, findet mit dem Hilfsmittel der Modellbildung statt. (gisma 2009)

Nicht nur in der quantitativ naturwissenschaftlich orientierten Repräsentation der Welt ist das Konzept von Nachbarschaft nach Tobler nur für manche Zusammenhänge gültig. So ist etwa die Konzentration von Stickstoff in der Atmosphäre vergleichsweise homogen und kontinuierlich (und entspricht so Tobler’s Axiom), während beispielsweise geologisch kontinuierliche Einheiten an Kontinentalplatten oder Störungen von einem Meter zum nächsten die nachbarschaftlichen Zusammenhänge geradezu konterkarieren. Vergleichbares gilt auch für andere Zusammenhänge wie etwa die Verteilung der Währungen innerhalb der EU oder auch die Regelung von fiskalen Belangen die in der Regel an verwaltungsrechtliche Grenzen gekoppelt ist obwohl beiderseitig Menschen leben die Steuern zahlen.

Geographische Modellierung

Die Zusammenhänge der realen Welt sind in der Regel so komplex, dass sie nur in einer generalisierten Form verständlich darstellbar oder analysierbar sind. Schon im Alltag konstruieren wir ständig kognitive Modelle zur Vereinfachung unserer Weltwahrnehmung (Rasch 2006). Diese Erfahrung ist auch in den Wissenschaften bekannt. So notiert der Physiker Bridgman bereits 1927: “I believe that the model is a useful and indeed unescapable tool of thought, in that it enables us to think about the unfamiliar in terms of the familiar” (Bridgman 1927), während 1972 der Modellierer Rivet schlicht behauptet: “The History of mankind is the history of model building.” (Rivett 1972)

Die Wahrnehmung und Interpretation der „realen Welt“ sowie die Entwicklung geeigneter Strategien für den praxistauglichen Umgang mit dieser Welt, findet mit dem Hilfsmittel der Abstraktion und Kommunikation (= Modellbildung) statt (vgl. Abb. 01-02). Die eingesetzten Strategien der Abstraktion sind widerstreitend und vielfältig, da Kontextabhängigkeit und Zielsetzung des Abstrahierenden einen wesentlichen Einfluss auf die Resultate ausüben (“Methode Götterblick” s. a. Eckmüllner 2007).

Das heißt, die gewählte Abstraktion der räumlichen Welt ist, wissenschaftlich betrachtet, bestenfalls nachvollziehbar und transparent aber niemals wahr. Auch garantiert die logische Validität der Abstraktion weder die Gültigkeit abgeleiteter noch allgemeiner Aussagen. Ob das konstruierte Modell der Wirklichkeit entspricht, lässt sich daher nicht beweisen. Bestenfalls lässt sich die Gültigkeit für den definierten Zweck nachweisen, nie aber Wahrheit (Bossel 2004).

Trotz dieser enormen Einschränkungen werden Repräsentationen des Raumes permanent und dringend benötigt, um nachvollziehbar räumliche Informationen zu dokumentieren, zu analysieren und zu kommunizieren. Oft sind mehrere oder variable Repräsentationen notwendig, um die Realität ausreichend genau abzubilden.

Wer räumliche Kompetenz erwerben will, muss alle genannten Aspekte und keineswegs nur die softwarespezifischen berücksichtigen. Wissenschaftstheoretisch ist GIS in der Geographie ein Methodenverbund raum-zeitliche Zusammenhänge nachvollziehbar und reproduzierbar zu konstruieren.

GI in der universitären Geographie

Definieren wir also GI-Systeme als Werkzeuge, die nach den Regeln der Informationsverarbeitung zu bedienen und zu nutzen sind, dann müssen wir einen Weg finden, um geographisch so widerstreitende Raumrepräsentationen auf nachvollziehbare und reproduzierbare Weise zu definieren und integrieren.

Denken Sie mit…

Versuchen Sie einzuordnen welche Relevanz GI in der universitären Ausbildung und Forschungsarbeit im Fach Geographie hat. Besuchen Sie hierzu eine Auswahl von geographischen Instituten im Internet.

  • Versuchen Sie die Bedeutung von GI im Rahmen der oben angeführten Vorüberlegungen konkret für ihren Studiengang und der angebotenen Kurse einzuordnen.
  • Schauen Sie stichprobenartig wie Raum und Zeit in den Veröffentlichungen der Wissenschaftlerinnen (Berufsgeographinnen) aufgefasst wird. Welche GI-relevanten Inhalte können Sie identifizieren?
  • Wie ist Ihre Wahrnehmung der Integration von GI-Methodik im eigenen Fachbereich?
  • Benennen Sie einige geographische Fragen, die ohne GI-Methoden auskommen.

Updated: