Prozeßbasierte Ableitungen

Grundlage für die Ableitung vieler hydrologischer Kenngrößen ist ein Gewässernetz, das manuell digitalisiert oder automatisch aus einem digitalen Geländemodell extrahiert werden kann. Die lokalen Fließrichtungen in den Gittern werden oft mit dem Ziffernblock einer Tastatur codiert. Ein Rasterpunkt (Pixel), von dem das Wasser nach Südwesten abfließt, hätte demnach den Wert 1, ein Pixel mit Abflussrichtung nach Westen den Wert 4 usw.

Lokale Abflussrichtungen in einem Raster können mit den Ziffern einer Tastatur kodiert werden, GITTA (2005)

Eine Karte, die die lokale Fließrichtung für jeden Gitterpunkt enthält, wird als lokales Fließrichtungsnetz (local drain direction net oder ldd net) bezeichnet Burrough und McDonnell (1998). Es gibt zahlreiche Algorithmen zur Berechnung von LDD-Netzen, die jeweils unterschiedliche Annahmen über den Wasserabfluss im Gelände treffen. Für eine (interaktive) Vertiefung wird auf die Software Landserf von Wood (2009) verwiesen.

D8-Algorithmus

Der einfachste und bekannteste ist der sogenannte D8-Algorithmus, der auf der Annahme beruht, dass in einer Umgebung von neun Gitterpunkten das Wasser in Richtung des steilsten Gefälles abfließt. Dazu wird von einem zentralen Quellpunkt aus das Gefälle zu jedem der acht umliegenden Punkte nach folgender Formel berechnet:

wobei d der Abstand und Δz der Höhenunterschied zwischen den beiden Punkten ist. In einem Raster mit einer Pixelbreite von 1 müssen wir zwischen den folgenden zwei Fällen unterscheiden:

  • Wenn wir die Neigung nach Norden, Osten, Süden oder Westen berechnen, ist der Abstand zwischen den Rasterpunkten d = 1.
  • Wenn wir die Neigung in den diagonalen Richtungen (Nordosten, Südosten, Südwesten, Nordwesten) berechnen wollen, ist der Abstand d zwischen den Rasterpunkten Wurzel(2).

Das lokale Fließrichtungsnetz (LDD-Netz)

Wir wissen nun, wie die Fließrichtung für einen einzelnen Punkt in der Mitte einer Nachbarschaft von neun Punkten berechnet wird. Indem wir diesen Ausschnitt als Fenster schrittweise über die gesamte Rastermatrix bewegen, können wir jedem Punkt eine lokale Fließrichtung zuordnen und so ein LDD-Netz erstellen.

LDD-Netz für ein kleines DGM (links) Lokale Fließrichtungen sind als Pfeile markiert, (rechts) Lokale Fließrichtungen sind mit dem Zeichenblock einer Tastatur markiert, GITTA (2005)

Beispiel Türlersee

Die folgende Abbildung der Fließrichtungen zeigt ein 25m-Raster-DGM des Gebietes Türler See und das daraus abgeleitete LDD-Netz. Die Seefläche im Süden der Karte muss aus dem Verfahren ausgeschlossen werden, da die Fließrichtung in einer horizontalen Ebene undefiniert ist.

Abflussrichtungen berechnet aus einem 25m-Raster-DGM mit einem D8-Algorithmus. GITTA (2005)

Analog kann ein ldd net in einen Vektordatensatz transformiert und entsprechend visualisiert werden.

Ein LDD-Netz als Vektorkarte

Abgeleitete Informationen aus Abflussnetzen

Lokale Abflussnetze sind zunächst nur zur Bestimmung der direkten Ober- und Unterlieger sinnvoll. Wie jedoch bereits im Kapitel Abgeleitete Informationen skizziert, können solche ersten Ableitungen für die weitere Informationsgewinnung sehr hilfreich sein. Wenn für jedes Pixel bekannt ist, wie sich gravitative Zu- und Abflüsse verhalten, können z.B. alle Elemente gezählt oder markiert werden, die von einem bestimmten Pixel aus flussaufwärts (flussabwärts) liegen. Unabhängig davon, ob die räumliche Verteilung des Niederschlags als gleichmäßig oder variabel angenommen wird, kann mit dieser Information berechnet werden, wie viel Wasser sich in jedem Pixel sammelt. Ein LDD-Netz kann für eine Vielzahl spezifischer hydrologischer Analysen verwendet werden. Eine offensichtliche Anwendung ist die Berechnung von flussaufwärts gelegenen Elementen zur Ableitung von Einzugsgebieten, Wasseransammlungen, Bergkämmen oder Flussbetten. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere hydrologische Indikatoren. Die wichtigsten sind:

  • Feuchteindex (Wetness Index, CTI)
  • Abflussmengenindex (Stream Power Index, SPI)
  • Sedimenttransportindex (Sediment Transport Index, STI)

Flussaufwärts gelegene Elemente

Die flussaufwärts gelegene Fläche ist ein wichtiger Faktor bei der Berechnung des Stofftransports. Die Anzahl der Elemente, die von einem bestimmten Pixel flussaufwärts liegen, kann einfach mit der folgenden Formel berechnet werden.

Dabei ist ci der i-te Rasterpixel mit dem Wert S(ci) und SUM(cu) die Summe aller Elemente, von denen Wasser in ci abfließt. Natürlich können die flussaufwärts gelegenen Elemente je nach Fragestellung gewichtet werden. Für die Berechnung des Wasserrückhalts kann die Gewichtung z.B. ein Gleichgewicht zwischen dem lokalen Niederschlag und dem durch Verdunstung, Versickerung und Oberflächenabfluss verlorenen Wasser darstellen.

In der nächsten Abbildung ist oben links ein LDD-Netz dargestellt. Zusätzlich ist jedem Pixel ein Indexwert zugeordnet (Gitter oben rechts). Auf dieser Grundlage werden für jedes Pixel die flussaufwärts gelegenen Elemente gefunden und mit der Liste der Indexwerte identifiziert (Mitte links). Wird zusätzlich eine Gewichtung verwendet (Mitte rechts), ergibt sich das Einzugsgebietsraster, das für jeden Pixel die Anzahl der flussaufwärts gelegenen Elemente anzeigt (unten).

Berechnung der Anzahl der flussaufwärts gelegenen Elemente für jedes Pixel

Gerinne und Kämme

In der folgenden Abbildung wurden die flussaufwärts gelegenen Elemente für ein DGM berechnet. Das resultierende Raster entspricht weitgehend dem Flussnetz auf der entsprechenden topographischen Karte, da ein wasserführendes Pixel nur dann “sichtbar” wird, wenn es eine ausreichend große Anzahl von Oberliegern besitzt.

Die zuvor abgeleitete Rastermatrix der absoluten Wasseransammlungen kann mit Hilfe eines Schwellwertes in eine Rastermatrix der Gewässer- und Höhenlinienkarte umklassifiziert werden. Eine solche Matrix enthält nur boolesche Werte, d.h. ein Pixel gehört entweder zu einem Gewässer oder zu einer Kuppe oder enthält keine Information.

Wasseransammlungen können mit einem ldd-Netz berechnet werden. GITTA (2005)

Die Wahl sinnvoller Schwellenwerte hängt von der Qualität des DGM und der räumlichen Auflösung ab. Solche Analyseabfragen zur Bestimmung von Gewässern können in Pseudoabfragesprache z.B. lauten:

`if(upstreamelements = 0) then kaemme=true; else kaemme=false;

Feuchteindex

Eine Karte der flussaufwärts gelegenen Elemente kann für andere wichtige hydrologische Konzepte oder inhaltliche/thematische Fragen verwendet werden. Ein gutes Beispiel ist der Feuchteindex (siehe Beven und Kirkby zitiert in Burrough et al. 1998).

Der aus dem ldd net abgeleitete Feuchteindex. GITTA (2005)

wobei As die Fläche flussaufwärts und ß die Neigung jedes Pixels darstellt (siehe Abbildung). Deutlich zu erkennen ist die aus der Empirie bekannte relative Trockenheit der Bergrücken und die Feuchte der Einzugsgebiete.

Flussintensitätsindex (Stream Power Index)

Der Flussintensitätsindex (Burrough et al. 1998), der nach der folgenden Gleichung berechnet wird, ist ein Maß für das Erosionspotential des Oberflächenabflusses.

Der Flussintensitätsindex abgeleitet aus dem ldd net. GITTA (2005)

As steht für die flussaufwärts gelegene Fläche; ß steht für die Neigung jedes Pixels. In der folgenden Abbildung ist zu sehen, dass die Flussintensitätsindexkarte der Karte der flussaufwärts gelegenen Elemente ähnelt.

Sedimenttransportindex

Der Sedimenttransportindex beschreibt den Prozess von Erosion/Denudation und Ablagerung. Im Gegensatz zum Länge-Gefälle-Faktor der Universal Soil Loss Equation (USLE) kann der Sedimenttransportindex auf dreidimensionale Oberflächen angewendet werden Burrough und McDonnell (1998).

Der aus dem ldd net abgeleitete Sedimenttransportindex . GITTA (2005)

Der Geschiebetransportindex wird nach folgender Gleichung berechnet. As ist die Fläche oberhalb jedes Pixels und ß ist das Gefälle des Pixels. Die folgende Abbildung zeigt ein Beispiel einer Sedimenttransportkarte. Die stromaufwärts gelegene Fläche wird stärker gewichtet als das Gefälle. Dies verändert das Ergebnis entsprechend.

Maximale Fließweglänge (Maximum flow-path length)

Die maximale Fließweglänge ist die Länge des längsten Fließweges von der Einzugsgebietsgrenze zu einem beliebigen Punkt im DGM. Anstatt Flächen zu akkumulieren, wie es bei den flussaufwärts gelegenen Flächen der Fall ist, wird der Weg akkumuliert, den das Wasser zurücklegt, wenn es von Pixel zu Pixel fließt. Nur der längste Fließweg aller flussaufwärts gelegenen Pixel wird dem flussabwärts gelegenen Pixel zugewiesen, nicht die Summe aller Fließwege Wilson und Gallant (2000). Maximaler Fließweg in Metern zu jedem flussaufwärts gelegenen Pixel.

Maximaler Fliessweg in Meter zu jedem flussaufwärts liegenden Pixel. GITTA (2005)

Die obige Abbildung zeigt ein Beispiel für den längsten Fliessweg. Hügel und Bergkämme haben naturgemäss tiefe Werte, während die Werte in einem Fliessgewässer flussabwärts kontinuierlich ansteigen.

Übung

Die oben beschriebenen Indizes basieren auf der Anzahl der flussaufwärts gelegenen Elemente, die wir leicht berechnen können. Aber auch die umgekehrte Richtung (die Anzahl der flussabwärts gelegenen Elemente) kann von Interesse sein. Stellen Sie sich vor, Sie möchten die Entfernung von einem beliebigen Punkt bis zur Einmündung des nächsten Seitenbaches berechnen.

  • Wie würde man vorgehen, ohne die bereits bekannten Algorithmen anzupassen?

Literatur

Burrough, P. A., und R. A. McDonnell. 1998. Principles of Geographical Information Systems. Oxford University Press.
GITTA. 2005. „Einführung in Datenbanksysteme [online]“. 2005. http://www.gitta.info/website/en/html/modules_overview.html.
Wilson, J., und J. Gallant. 2000. Terrain Analysis: Principles and Applications. John Wiley; Sons.
Wood, Jo. 2009. „Landserf.org“. http://www.landserf.org/.